Zufall, selbsterfüllende Prophezeiung oder bemerkenswerte Prognosefähigkeit? – Deutschlands Journalisten haben zu Jahresbeginn mit ihren Voraussagen im Media Delphi des Recherchescout sehr gut gelegen.
Martin Winterkorn wird der deutsche Top-Manager, der in diesem Jahr die meisten Schlagzeilen macht. Sagten die Journalisten, die zu Jahresbeginn im Rahmen des Recherchescout Media Delphi Ihre Erwartungen über die Themen und Personen äußerten, die 2015 im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit stehen würden.
429 Journalisten hatten in fünf Kategorien – Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Medien – Namen und Themen zu Protokoll gegeben, die nach ihrer Meinung die Schlagzeilen in diesem Jahr bestimmen würden. VW-Chef Winterkorn landete in der Erwartungsliste bei den Spitzenmanagern hinter Mark Zuckerberg als höchstplatzierter deutscher Vertreter auf Platz zwei – vor Apple-Chef Tim Cook und Mercedes-Boss Dieter Zetsche. Das war noch vor Winterkorns Machtkampf mit dem Patriarchen Ferdinand Piech und zu einer Zeit, als die Ablösung von Toyota als größtem Autoproduzenten der Welt durch den von Winterkorn geführten Volkswagen-Konzern kurz bevor stand. Dieses Schlaglicht, das durch die Absatzzahlen im Frühjahr dann tatsächlich kurz über VW erstrahlte, konnte der Chef nur kurz genießen: Erst kam der Showdown mit Piech, nun der unvorhergesehen Abschied.
Vor Martin Winterkorn hatte bereits Jürgen Klopp die Erwartungen der Journalisten bestätigt: 65 Prozent von ihnen sagten dem damaligen Trainer von Borussia Dortmund die größte Medienpräsenz voraus. Der damals mit seiner Mannschaft im Tabellenkeller der Bundesliga überwinternde Klopp lieferte mit seiner Mannschaft zunächst eine Aufholjagd, die das zuvor abstiegsgefährdete Team noch auf einen Europapokalplatz brachte, bevor er mit seiner Ankündigung des Rücktritts zum Saisonende die Schlagzeilen bestimmte.
Sieht man von Wladimir Putin ab, dessen Medienpräsenz in den vergangenen Monaten geringer war als von den Journalisten prognostiziert, dann haben sich auch im Bereich der Politik – zum Beispiel mit der dominierenden Präsenz von Angela Merkel und Alexis Tsipras – wesentliche Voraussagen erfüllt.
Wenn die deutschen Journalisten so treffsicher orakeln, spricht das für ihr Themengespür und ihr Gefühl für Geschichten, Es geht bei diesen Beispielen schließlich nicht um herbeigeschriebene Ereignisse und selbsterfüllende Prophezeiungen, sondern um eher unvorhersehbare Entwicklungen.
Das gegenwärtig dominierende Thema in der Gesellschaft und in der Berichterstattung hatte zu Jahresbeginn allerdings noch niemand auf dem Schirm: Vor allem diejenigen politischen Kommentatoren, die dazu neigen, hinterher schon immer alles vorher gewusst zu haben, sollten beim Thema Flüchtlinge in ihrer Kritik an den handelnden Politikern Augenmaß walten lassen, denn einen Zuwanderungsstrom oder gar eine Flüchtlingswelle haben – das zeigt ein Blick in das Media Delphi – auch die Journalisten zu Jahresbeginn nicht vorausgesehen.