Der Fall des Moderatoren Markus Lanz erlaubt im Kern nicht nur Debatten um Themen wie digitaler Shitstorm in sozialen Medien, Pflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, GEZ-Zwang oder die allgemeine Frage nach dem Untergang des Abendlandes.
Vor allem führt die öffentliche Empörung direkt zu alten kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen wie beispielsweise dem uses and gratifications Approach oder der Nachrichtenwert-Theorie, denen sich unweigerlich Betrachtungen über den Sinn und Nutzen des Journalismus sowie die Erwartungshaltung an ihn anschließen müssen. Denn: Aus dem anhaltenden journalistischem Desaster lässt sich durchaus einiges für die Zukunft ableiten.
Der seit Jahren sowohl im Gesamten als auch durch seine Differenzierung (Ausweitung der Kanäle) zunehmende Medienkonsum darf nicht auf dessen Möglichkeiten durch die Schaffung der Kanäle oder die crossmediale Verknüpfung per se reduziert werden. Im Mittelpunkt der Betrachtungen muss eine qualitative Inhaltsvielfalt stehen. Natürlich: In der Konsequenz Marshall McLuhans bleibt das Medium auch heute noch die Message. Das boulevardesk inszenierte Interview von Lanz ist vor diesem Hintergrund nichts anderes als der auf die Spitze getriebene Versuch einer im Hintergrund agierenden Redaktion, ein Fernsehformat für sendetaugliche Headlines zu vergewaltigen. Neil Postman hat schon vor Jahrzehnten hinreichend und treffsicher prophezeit, das Fernsehdebatten nicht die ernsthafte Möglichkeit eröffnen, aufbauend, reflektierend oder wie auch immer geartet zu argumentieren – man teile zum Beweis nur die Sendezeit einer durchschnittlichen Lanz-Sendung durch die Anzahl der drapierten Gesprächspartner, abzüglich minutenlanger selbstgefälliger Hin- und Herleitungen des Moderators. In den verbleibenden Redezeiten lässt sich angesichts der tatsächlich bestehenden Komplexität kaum ein Standpunkt darlegen. Das Problem der perfektionierten Anbiederung an die Vorzüge des Mediums: Wir amüsieren uns nicht zu Tode, wir verdummen uns zu Tode. Und: Die Medien schaffen sich selber ab.
Womit wir zum Wesentlichen der eingangs aufgezeigten Dimension gelangen. Medienmacher würden gut daran tun, das Nutzungsverhalten der Rezipienten mehrdimensional zu hinterfragen – also sich nicht allein von Abrufzahlen, Empfehlungsraten und Verweildauern in die Irre leiten zu lassen. Sicher: Die Fokussierung auf leichter zugängliche Inhalte beziehungsweise deren entsprechend unterhaltsame Aufbereitung verspricht einen gewissen Erfolg. „Politainment“ titelte einst Andreas Dörner und beschrieb treffend einen Trend, der heute gelebte Wirklichkeit bei den Medienhäusern ist. Aber kann, um mit dem uses and gratifacations-Ansatz zu argumentieren, Unterhaltung oder scheinbare Unterhaltung der wichtigste und einzige Nutzen sein, den Medienrezipienten aus dem Medienkonsum ziehen? Vom Lagerfeld-Geld-Interview in der Süddeutschen über das Dschungelcamp bis zur Euro-Europa-Koalitions-Körpergrößen-Schlagzeilenmaschine bei Lanz: Themenwahl und Themenaufbereitung legen diesen Schluss nahe.
Die Lanz-Petition und einige andere Reaktionen zeigen, dass zumindest einige Rezipienten mehr Nutzen ziehen wollen und müssen. Die Befriedigung ergibt sich eben nicht allein aus der Zerstreuung. Sie erwarten mehr. Informationen und Fakten beispielsweise, die einen monetären oder intellektuellen Mehrwert bieten. Informationen als Schlüssel zu neuen Gedanken und Entscheidungen. Informationen, die auch jenseits des Medienkontexts über einen brauchbaren Wert verfügen.
Doch jene Inhalte sind für Medienmacher seit jeher schwerer zugänglich als die Frage nach der Krückenfirma von Angela Merkel oder der Frage nach der Marke von Hollandes Vespa-Helm, der jetzt übrigens „Président“ heißt. Wertvolle Inhalte sind verfänglicher. Anstrengender. Verworrener. Unlogischer. Und damit auch teurer in der Beschaffung beziehungsweise Herstellung.
Journalisten und Redakteure könnten resignieren und weiterhin Aufgüsse aus Suchmaschinenfundstellen sowie oberflächliche Befriedigungsreize produzieren. Die Nachrichtenmaschine scheint sich ja unendlich mit dieser Art von Inhalten befeuern zu lassen und selbst zu erhalten. Auch der kurzfristig- und mittelfristige Erfolg gibt dieser Methode Recht. Doch der Preis dieser Währung, mit der die Rezipientenaufmerksamkeit bezahlt wird, (Lanz: „Rein aus dem Euro oder raus? Wie jetzt“) ist zweifelsfrei hoch, wie selbiges Exempel verdeutlicht.
Zielführender wäre, die häufig gelebte Medienpraxis zu hinterfragen und die Herausforderung als Chance zu begreifen. Der Markenwert journalistischer Produkte liegt sicher weniger in der Unterhaltung als in wirklich relevanten Inhalten. Doch was ist relevant? Auch hier dürfen sich Medienmacher nicht durch Katalysatoren wie Hashtags täuschen lassen. Ein Hashtag allein ist weder ein Relevanzsiegel noch Inhaltlegitimation. Die „Zeit“ beweist seit Jahren, dass sich Themen ebenso setzen lassen – fernab von Populismus oder Pseudorelevanz, die durch Faktoren wie persönliche Betroffenheit, Aktualität oder Prominenz getriggert wird. Zeit also, Relevanz mehr denn je zu überprüfen oder gegebenenfalls neu zu definieren. In Kombination mit sauberem journalistischem Handwerk muss dies keine Quote kosten. Im Gegenteil. Die Mutigen könnten belohnt werden.
von Kai Oppel, Mitgründer von Recherchescout und Mitinhaber der PR-Agentur scrivo PublicRelations.